17. November 2018
Wie der Coaching Prozess abläuft – ein Beispiel aus der Praxis
Diese Situation könnte in vielen Betrieben stattfinden: eine lange Vorgeschichte, interne Anstrengungen, die nicht das Gewünschte brachten, und die Idee, einen externen Coach beizuziehen. Der kostet dann auch Geld; die Erwartungen sind entsprechend hoch. Und natürlich soll die Veränderung schnell kommen und, das ist klar, nachhaltig sein.
Keine einfache Ausgangslage für den Coach! Doch er kennt die Faktoren eines erfolgreichen Coachings:
1. Beteiligte: der Coachee, seine Führungskraft und die HR-Leiterin.
2. Dauer: Der Coaching-Prozess wird auf mindestens sechs, maximal 12 Monate angesetzt.
3. Messbarkeit: Die drei Beteiligten nehmen sich am Anfang und alle 2-3 Monate Zeit, um gemeinsam den Fortschritt zu überprüfen.
So könnte es in unserem Beispiel weitergehen: der Coach trifft Coachee, Führungskraft und HR-Leiterin im Sitzungszimmer der Firma und stellt ihnen folgende Frage:
Frage 1: «Was sind die Ziele des Coachings?» – Es wird diskutiert und am Schluss steht auf dem Flipchart:
- Führung verbessern
- Teammotivation steigern
- Kommunikationsfähigkeiten des Coachees stärken
Alle sind sich einig. Doch der Coach muss es genauer wissen:
Frage 2: «Auf einer Skala von 1-10, wie schätzen sie den Coachee heute ein? Bitte überlegen Sie nicht lange, sondern lassen Sie einfach eine Zahl auftauchen und nennen Sie diese!» – Die drei geben ihre intuitive Einschätzung ab; erstaunlich, sie liegen alle eng bei einander, sogar die des Coachees:

Der Coach will keine Begründung der Einschätzung; er weiss: die intuitive Bewertung ist am Ehrlichsten und reflektiert die aktuelle Situation am besten. Er spürt die Erleichterung im Sitzungszimmer, jetzt, da die «Katze aus dem Sack» ist und sich alle einig sind, wie gut (bzw. schlecht) es steht. Nun möchte er die Aufmerksamkeit nach vorne richten:
Frage 3: «Am Ende des Coachings, in 10 Monaten, wo müsste der Coachee stehen, damit das Ergebnis für Sie akzeptabel wäre?» – Auch diese Frage geht an alle drei:

Der Coachee selbst hat seine Erwartungen ans obere Ende der Skala gesetzt und ist doch ein bisschen erstaunt (und erleichtert), dass weder seine Führungskraft noch die HR-Leiterin Perfektion erwarten. Zeit für die letzte Frage des Coachs:
Frage 4: «Woran erkennen Sie, dass der Coachee bei der Führung eine 7 erreicht hat?» – Die Führungskraft und die HR-Leiterin sind gefragt und müssen einen Moment nachdenken. Die Führungskraft sagt: «Die Mitarbeitenden des Coachees fühlen sich unterstützt.» Der Coach fragt nach: «Wie würde sich der Coachee verhalten, damit sich die Mitarbeitenden unterstützt fühlen?» – «Er würde sie auch ab und zu loben, und, vor allem, sie nicht immer runterputzen!»
Für Frage 4 nimmt sich der Coach am meisten Zeit, bis er möglichst viele erwünschte Verhaltensweisen des Coachees von Führungskraft und HR-Leiterin erhalten hat. Sie bilden die Richtschnur für Zielerreichung (und damit Erfolg) des Coachings. Mit Hilfe dieser Evidenzkriterien können die drei periodisch den Erfolg des Coachings überprüfen.
In der Praxis hat es sich bewährt, die intuitive Skalenbewertung mit möglichst konkreten Verhaltensweisen zu verbinden. Es ist wichtig, dass die Skalenbewertung intuitiv erfolgt und nicht begründet werden muss. Damit wird die «echte» Gefühlslage abgeholt. Begründungen führen oft zu langwierigen Diskussionen, die – ausser schlechten Gefühlen – wenig bringen. Das Herausarbeiten der Verhaltensweisen, an denen Führungskraft und HR den Erfolg erkennen, führt von Worthülsen wie «Teammotivation» zu beobachtbarem, von aussen wahrnehmbarem Tun des Coachees.
Das ist fair: der Coachee kann die nötigen Fähigkeiten lernen und Verhaltensweisen trainieren, an denen er letztlich gemessen wird. Die Bewertungskriterien liegen auf dem Tisch, sind für alle Beteiligten transparent und können vom Coachee durch sein Verhalten erfüllt werden. Das braucht gerade am Anfang etwas Zeit, doch der Lohn der Arbeit ist ein Coaching-Prozess mit realistischen Voraussetzungen für einen langfristigen Erfolg.